römischer Roman: Ausschweifung, Abenteuer, Leiden, Erlösung

römischer Roman: Ausschweifung, Abenteuer, Leiden, Erlösung
römischer Roman: Ausschweifung, Abenteuer, Leiden, Erlösung
 
Eines der originellsten römischen Werke, die »Satyrica«, ist unter dem Namen des Petronius überliefert; möglicherweise ist er mit jenem Kenner verfeinerten Lebensgenusses am Hofe Neros identisch, der sich im Jahr 66 n. Chr. das Leben nehmen musste und diesen Tod stilvoll inszenierte. Mit Detailkenntnis zeichnet er beißend spöttisch das Bild von Luxus und geschmacklosen Ausschweifungen und nimmt andererseits nicht nur auf die zu seiner Zeit gern gelesenen idealisierenden griechischen Romane, sondern auch auf die epischen, dramatischen und philosophischen Werke früherer und seiner Zeit persiflierend Bezug. Die Prosa des Romans wird wie in Varros »Satura Menippea« durch Verspartien unterbrochen, deren längste (295 Verse) rivalisierend mit Lukan den Bürgerkrieg Caesars darstellt. Von den ursprünglich 20 oder 24 Büchern sind zwar nur noch Fragmente erhalten; sie lassen jedoch die Grundstruktur deutlich werden: Ein männliches Liebespaar wird vom zürnenden Fruchtbarkeitsgott Priapus verfolgt, erlebt in Unteritalien Eifersucht, Entzweiung, Wiederfinden, Irrfahrten, Schiffbruch und mancherlei andere Abenteuer, oft erotischer Natur, und begegnet Menschen der unterschiedlichsten sozialen Schichten. Deren Verhaltensweisen, Umgangsformen und auch Sprache werden bis in Einzelheiten treffend charakterisiert. In die Romanhandlung sind Anekdoten, Spukgeschichten und in sich abgeschlossene Erzählungen eingestreut, darunter die Novelle von der Witwe von Ephesos, die wohl aus den um 100 v. Chr. entstandenen »Milesischen Geschichten« stammt. Erhalten ist unter den Fragmenten auch die unvergleichliche Schilderung des Gastmahles des reichen, aber ungebildeten Parvenüs Trimalchio, ein Stück voll praller Realistik und aberwitziger Einfälle.
 
Vollständig auf uns gekommen ist der zweite große lateinische Roman, die »Metamorphosen« oder auch »Der goldene Esel« des Apuleius von Madaura in Numidien. Von diesem interessierten und hochgebildeten Rhetor sind uns neben einer Verteidigungsrede in eigener Sache (er war der Zauberei angeklagt) Schriften erhalten, in denen er sich besonders um die Vermittlung philosophischer, vor allem platonischer Themen bemühte. In seinem Roman hat er den griechischen »Eselsroman«, die Geschichte des jungen Lucius, der wegen seiner Neugier in einen Esel verwandelt wird, im Umfang durch erotische Episoden, Anekdoten, Spukgeschichten und das in der Mitte des Romans stehende Märchen von Amor und Psyche mit hohem Erzähltalent und großartiger Sprachgestaltung auf ein Mehrfaches erweitert. Über lange Strecken wird der Leser mit den bizarren Abenteuern, die der arme Lucius als Esel erleben muss, höchst amüsant unterhalten. Im letzten, dem 11. Buch fügt Apuleius dem eine neue Dimension hinzu, wenn Lucius durch die Gnade der Göttin Isis erlöst wird; in deren Mysterien eingeweiht, will er hinfort die Vorschriften zu kultischer und sittlicher Reinheit befolgen. Man hat das ganze Werk als verhüllte Mysterien-Erzählung auffassen wollen; das mag angesichts der burlesken Züge dahingestellt bleiben. Immerhin weist Apuleius, der selbst in die Isis-Mysterien eingeweiht war, als Ausweg aus der Verkehrtheit und auch Absurdität dieser Welt am Ende seines Romans auf die Religion und die Gnade der Gottheit.
 
Prof. Dr. Hans Armin Gärtner und Dr. Helga Gärtner
 
 
Dihle, Albrecht: : Die griechische und lateinische Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justinian. München 1989.
 
Römische Literatur, herausgegeben von Manfred Fuhrmann u. a. Frankfurt am Main 1974.

Universal-Lexikon. 2012.

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